Hinterm Horizont geht's weiter
- Robert Rienass
- 31. März 2022
- 9 Min. Lesezeit
Wieso der Tod nicht das Ende ist

Vielen macht er Angst. Manche sehnen ihn herbei: der Tod. Ein Mysterium. Bisher zumindest. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass er nicht zwingend das Ende unserer Existenz bedeutet. Was ist dran an den Geschichten vom Jenseits? Sterbeforscher, Religionen, Esoteriker und Menschen mit unglaublichen Erlebnissen klären auf.
Unsere Sehnsucht nach mehr
Juli 2013. Mein Opa ist tot. Als die Nachricht mich ereilt, kommen mein Vater und ich gerade von einem Wochenendtrip zurück nach Hause. Ich blicke in Mamas Augen, dann in Omas. Plötzlich ist mir alles klar. Beklemmung macht sich in meiner Brust breit. Leere und Schmerz füllen meine Seele. Ich fühle mich macht- und hilflos. Es dauert ein paar Monate, bis ich realisiere, dass Opa wirklich gestorben ist. In der Zwischenzeit träume ich immer wieder von ihm. Noch immer meine ich ihn spüren zu können. Manchmal sitze ich vor der Haustür, binde mir die Schuhe und stelle mir vor, wie er gerade zur Tür reinkommt. Doch er kommt nicht.
Ich kann kaum Abschied nehmen, weil der Verlust mich quält. Und so beginne ich zu forschen: Ist er wirklich tot? Oder lebt er woanders weiter? Wohin ist Opa gegangen? Die Antworten darauf sind so vielfältig wie die Menschen, die sie geben. Gläubige, Wissenschaftler, Esoteriker. Sie alle haben verschiedene Vorstellungen davon, was nach dem Tod mit uns passiert. Nur in einer Sache sind sich alle einig: Der Mensch möchte leben. Mit jeder Faser seines Wesens.
Vielleicht klammern sich deswegen viele an den Gedanken, dass es einen Gott gibt. Einen Gott, der den Tod überwindet und uns ins Jenseits holt, wenn unser irdisches Dasein endet. Rational betrachtet eine sehr skurrile Vorstellung. Emotional gesehen jedoch eine echte Chance, um dem Tod den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich möchte wissen: Was ist dran an den Geschichten vom Himmelreich? Erfinden wir sie, weil wir es nicht ertragen können, dass der Tod unser Ende bedeutet? Oder sind wir tatsächlich geschaffen, um für immer zu leben?
Mit Liebe in den Himmel
Seit Anbeginn der Zeit haben Menschen auf ein besseres Leben nach dem Tod gehofft. Unbestritten ist auch, dass unsere Welt mehr Dimensionen umfasst, als wir wahrnehmen können. Damit ist es nicht ausgeschlossen, dass Leben außerhalb der materiellen Ebene besteht. Das wussten bereits die antiken Ägypter. Sie glaubten an den Hades. Eine Dimension, in die alle verstorbenen Seelen nach ihrer Reise durch die Unterwelt gelangen. Auch die Naturvölker nahmen an, dass der Körper nur die Hülle für unser Innerstes ist. Sie würde nach dem Tod verwesen, aber die Seele weiterleben. Entweder als Tier oder als Erscheinung in der Natur. Die Mitglieder des Indianerstamms der Chayenne gingen noch einen Schritt weiter. Ihre Interpretation? Dass sich ihre geistige Hülle nach dem Tod vom Körper löst und über die Milchstraße ins Land des Großen Geistes aufsteigt.
Eine Annahme, von der auch Juden, Christen und Moslems im Kern überzeugt sind. Nur mit dem Unterschied, dass der Große Geist der eine, allmächtige Gott ist. Der Schöpfer des Himmels und der Erde. Derjenige, der jeden Menschen vor dem Tod bewahren möchte. Wahrlich, von Gott kommen wir, und, wahrlich zu ihm werden wir zurückgebracht, heißt es im Koran. Gelobt seist du Ewiger, der die Toten wiederbelebt, bekennen Juden im Achtzehnbittengebet. Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, schreibt der Prophet Daniel im Alten Testament.
Doch was müssen wir tun, damit Gott uns auferweckt? Die Christen meinen: Glauben. Glauben an Jesus Christus. An den Jesus, der zweifelsfrei eine historische Person war, der Menschen mit seinen Worten und Taten bewegte, provozierte und letztlich dafür ans Kreuz kam. Glauben daran, dass er, wie er selbst sagte, der Sohn Gottes ist. Dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag, zitiert Apostel Johannes Jesus im Evangelium.
An anderer Stelle schreibt Johannes von Jesus: Ich sage euch die Wahrheit: Wer meine Botschaft hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben. Ihn wird das Urteil Gottes nicht treffen, er hat die Grenze vom Tod zum Leben schon überschritten. Also reicht ein Lippenbekenntnis zu Jesus? Nein. Laut den Überlieferungen fordert der Sohn Gottes selbst echtes Vertrauen und vollkommene Hingabe. Es geht im Glauben an ihn um unsere Herzens- und Geisteshaltung. Richten wir uns ganz auf ihn, auf Liebe und Vergebung aus, kommen wir in den Himmel. Dann werden wir, genau wie er, auferstehen.

Willkommen im Paradies
Nach allem, was wir heute wissen, haben auch die Pharisäer zur Zeit Jesu die Idee der Auferstehung entwickelt. Die Thora spricht davon, dass die Toten wieder lebendig werden, wenn der Messias kommt. Wie genau das neue Leben dann aussieht, verrät die hebräische Schrift jedoch kaum. Manche Juden glauben an den Garten Eden, in den alle Gerechten einziehen. Egal, ob sie jüdisch sind oder nicht. Klar scheint auch: weiße Wolken und Engel wird es dort nicht geben. Viele Juden gehen davon aus, dass der Garten Eden in einer Dimension liegt, die sich bereits im Diesseits erahnen lässt.
Auch die Bibel beschreibt das Jenseits weniger als einen fernen Ort irgendwo in den Wolken, sondern viel irdischer. Siehe, die Wohnung Gottes ist nun bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und Gott selbst wird bei ihnen sein. Er wird alle ihre Tränen abwischen, und es wird keinen Tod und keine Trauer und kein Weinen und keinen Schmerz mehr geben, heißt es in Offenbarung 21.
Und die Moslems? Auch sie hoffen nach ihrem Tod von Gott gerufen zu werden. Ins Jenseits, das ähnlich wie bei Juden und Christen einem Paradiesgarten gleicht. Dorthin gelangen sie nur über eine Brücke. Eine Brücke, die schärfer ist als ein Schwert und dünner als ein Haar. Die Gläubigen, so heißt es, kommen unbeschadet herüber. Die Zweifler fallen in die Tiefe der Hölle.
Unser unendliches Bewusstsein
Bleibt nur die Frage: Was geschieht mit den Atheisten? Sind sie für immer verdammt?
Sterbeforscher Pim van Lommel sagt nein. Seit über 50 Jahren beschäftigt sich der Holländer mit dem Thema Leben nach dem Tod. Er ist sich sicher: Der Tod ist nur das Ende unseres physischen Daseins. Unser Bewusstsein hingegen bleibt für immer bestehen. Egal ob wir glauben oder nicht. Es sei wie eine Cloud, über die wir uns mit allen anderen Bewusstseinen verbinden könnten. Nichts von dem, was wir erlebt und erlernt hätten, ginge verloren. Alles bliebe über Zeit und Raum hinweg erhalten und für immer verfügbar.
Ergebnisse, die auch andere Sterbeforscher weltweit teilen. Viele von ihnen konnten in der Vergangenheit Bewusstsein im Zustand klinischen Todes messen. Und so scheint es, als müssten wir annehmen, dass unsere Wahrnehmung nicht ausschließlich auf unserer Gehirnfunktion beruht, sondern Bewusstsein auch außerhalb des Körpers existiert.
Anke Evertz hat das bereits erlebt. Im September 2009 möchte sie Feuerholz in ihren Ofen legen. Plötzlich springen mehrere Funken auf ihre Kleidung über. Ihr ganzer Körper steht in Flammen. Sie weiß: Jetzt werde ich sterben. Doch sie stirbt nicht. Das, was Anke erlebt ist eine Nahtoderfahrung. Ein besonderer Zustand des Bewusstseins, in dem Betroffene klinisch tot sind und außerkörperliche Erfahrungen machen. Einige berichten von Tunnel-Erlebnissen. Von einer Reise in Richtung eines hellen, weißen Lichts.
Anke trifft sogar ein Lichtwesen. Eines, das zu ihr mit sanfter Stimme spricht. Ein Wesen, dass sie herzlich willkommen heißt. Sie erfährt das Gefühl bedingungsloser Liebe. Raum und Zeit existieren nicht mehr. Du hast keinen Verstand mehr, der irgendetwas einordnet oder verstehen möchte, sagt sie Jahre nach dem Erlebnis in einem Interview. Und dir wird alles klar. Alle Zusammenhänge werden dir bewusst.
Das gleiche berichtet der schweizer Sänger Bo Katzmann, der nach einem schlimmen Motorradunfall im Alter von 18 Jahren notoperiert wird. Ich konnte alle Gedanken der Anwesenden im OP-Saal lesen. Ich war plötzlich ein Geistwesen, sagt er voller Überzeugung. Mir wurde blitzartig klar, warum, wie und wann das Universum entstand.

Zweifel der Wissenschaftler
Der Nahtod - ein Phänomen, dem die Wissenschaft schon lange auf der Spur ist. Denn viele Menschen haben diese Erfahrung kulturübergreifend und zu allen Lebzeiten gemacht. Alle haben sie als schön empfunden. Keiner wollte zurück. Ist das der Beweis, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?
Kritische Psycho- und Neurologen halten das für unwahrscheinlich. So seien Nahtoderfahrungen zwar real, aber noch lange kein echter Beleg für eine ewige Existenz. Der Grund? Nahtote kommen immer wieder zurück in ihren Körper. Zurück in ihr irdisches Bewusstsein. Wissenschaftler der Charite Berlin betonen: Selbst wenn Patienten klinisch tot sind und ihr Herz nicht mehr schlägt, sind ihre Nervenzellen für eine gewisse Zeit noch aktiv. In der Anfangsphase des klinischen Todes werden sie dann alle gleichzeitig aktiviert. Das Resultat? Eine Hyperfunktion, die die Bilder der Nahtoderfahrungen auslöst.
Reden mit den Toten
Doch auch das ist kein Beweis dafür, dass unser Leben mit dem irdischen Tod endet. Sondern nur eine Erklärung für das, was sowieso besteht. Wenn wir wirklich herausfinden möchten, ob wir nach dem Tod weiterleben, müssen wir also noch einen Schritt weitergehen: Ins Reich der Toten schauen.
Amara Yachour tut das täglich. Sie arbeitet als Medium. Dabei stellt sie angeblich Kontakt zu Verstorbenen her. Sie selbst sieht sich als Sprachrohr zwischen Dies- und Jenseits. Zu ihren Sitzungen kommen meist Angehörige, die ungeklärte Fragen an die Toten haben oder
Unterstützung bei der Trauerbewältigung suchen. Amara lädt die Verstorbenen dann ein, zur Sitzung dazuzukommen, sich zu zeigen. Sie meint fühlen, riechen und hören zu können, was die Verstorbenen ihren Hinterbliebenen mitteilen möchten. Amara bekommt unterschiedliche Puzzleteile aus dem Jenseits zugesendet, die sie dann zu einem großen Bild zusammensetzt und mit den Angehörigen bespricht. Auf die Frage, warum die Verstorbenen nahezu ausnahmslos ihren Einladungen nachkommen antwortet sie mit Liebe.
In Europa betrachten Menschen Medialität eher skeptisch. Die Praxis scheint uns fremd, mystisch und skurril. In Asien und Afrika hingegen, hat diese Art der Verbindung zum Jenseits eine lange Tradition. Und auch in Amerika bekommt Medialität eine immer größere Bedeutung. Aber wie genau nehmen Menschen wie Tamara Kontakt zu Verstorbenen auf? Ich gehe mit meinem Bewusstsein weg von der Verständnisebene, hin zur geistigen Dimension, erklärt Tamara. Hier gibt es keine Beurteilung mehr. Kein Einordnen. Nur noch wertfreie Wahrnehmung. Ich erweitere in den Sitzungen quasi mein Bewusstsein.

Mit Meditation die Angst überwinden
Klingt ein bisschen nach Meditation. Und tatsächlich: das ist es auch. Während wir meditieren, können wir das was Tamara tagtäglich tut, bereits im Kleinen erlernen und erfahren. Eine Psychologin, die das bestätigt ist Iris Paxino. Sie betrachtet das Meditieren als eine gute Praxis, um sich auf das Leben im Jenseits vorzubereiten. Außerdem können wir mithilfe von Achtsamkeitsübungen erwiesenermaßen Ängste abbauen. Auch die vor dem Tod. Aber wie genau geht das?
In der Meditation verbinden wir uns mit unserem Innersten, unseren Empfindungen und kommen zur Ruhe. Raum und Zeit können vergessen werden. Gedankenreisen angetreten werden. Wir können dank des erweiterten Bewusstseins neue Sphären erschließen und Grenzen übertreten. Welten, die wir im Alltag als getrennt wahrnehmen, vereinen sich in der Meditation. Entscheidend ist auch: Beim Meditieren können wir erleben, wie sich das Innere von unserem Körper löst. Für Iris ein echter Hinweis darauf, dass die Seele in Verbindung mit dem Bewusstsein unabhängig vom Körper existiert.
Wiedergeburt oder ewiger Friede?
Vielleicht spielt deshalb die Meditation auch im Buddhismus und Hinduismus eine so große Rolle. Beide Religionen gehen davon aus, dass die Seele unabhängig vom Körper fortlaufend existiert und in neuen Körpern wiedergeboren wird. In welchem Körper die Seele als nächstes landet, entscheidet unser Verhalten im vorherigen Leben. Waren wir liebevoll, gütig und ehrlich, stehen die Chancen gut, die Reinkarnation als Mensch zu erleben. Waren wir es nicht, sorgt das Karma für die Wiedergeburt in Form einer Ratte oder eines anderen Tieres, das nicht die Erleuchtung erleben kann. Ziel ist es letztlich, den Kreislauf der Reinkarnation zu durchbrechen und den ewigen Frieden zu erlangen.
Für Buddhisten geht das nur, in dem sie ihre irdische Begierden, wie Geld, Macht und Sex ablegen. Nur so könne das Nirwana, das Ende der Wiedergeburten, erlangt werden. Wichtig ist auch: Das Nirwana ist für Buddhisten kein bestimmter Ort, sondern ein ein Zustand der Vollkommenheit, in dem alle Wünsche und Sehnsüchte überwunden sind. Bei den Hindus ist das sogenannte Moksha die Erleuchtung, der ewige Friede, den die Seele erreichen möchte.
Die Gegenwart genießen
Nach all den Glaubenstheorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die wir bereits betrachtet haben, steht fest: Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass unsere Reise nach dem Tod weitergeht - in welcher Form auch immer. Klar ist aber auch, dass wir es wohl nie schaffen werden, genau das zu beweisen. Und so bleibt es letztlich doch eine Frage des Glaubens, ob und wie wir uns ein Leben im Jenseits vorstellen.
Buddha hat es der Überlieferung gemäß abgelehnt, über ein Leben nach dem Tod zu sprechen, weil es nicht zum inneren Frieden führe, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Es gäbe nichts zu erreichen. Auch keine Unsterblichkeit. Viele Menschen mit Nahtoderlebnissen sehen das anders. Anke zum Beispiel glaubt an das Jenseits und sieht genau darin den Sinn für ihr Leben auf dieser Erde. Die einstige Millionärin hat ihr Leben mittlerweile komplett umgekrempelt. Geld und Erfolg sind ihr nicht mehr wichtig. Ihr geht es um Liebe. Um eine göttliche, bedingungslose Liebe, die uns nach dem Tod erwarte und die sie bereits hier etablieren möchte. Auch Amara, die selbst eine Nahtoderfahrung gemacht hat, glaubt an ein Leben danach. An ein Leben in Liebe und mit Gott.
Letztlich scheint es so, als dienten auch die frohen Jenseitsbotschaften verschiedener Religionen dazu, um unserem Leben auf Erden einen Sinn zu geben. Und selbst, wenn es kein Leben nach dem Tod gibt: Ist es nicht schöner an etwas zu glauben, das uns Mut macht und unserem Leben Bedeutung schenkt, statt sich auf das zu begrenzen, was trivial ist? Ich glaube heute fest daran, dass Opa weiterlebt. Und dass ich ihn eines Tages wiedersehen werde. Doch bis dahin möchte ich mein Leben in der Gegenwart leben, Liebe, Zuneigung und Fürsorge entwickeln und anderen Menschen helfen.
Text: Robert Rienass
Bilder: Unsplash
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